Lieber Eggi, bevor ich auf Dein unvergleichliches Palmares eingehe: Wann und wie bist Du überhaupt zum Curling gekommen?

Mein Vater und mein Bruder spielten bereits Curling in Thun – und so hat es mich schon früh ebenfalls gepackt. Mit 9 Jahren ging ich dann in das 1. Trainingslager nach Champéry, wo ich mit dem Team meines Bruders Daniel gleich mein erstes Turnier spielen durfte. Wir gingen als Sieger vom Platz – und das war dann der «Startschuss» 🙂.

 

8 Jahre später wurdest Du dann mit Deinem eigenen Team zum ersten Mal Junioren-Schweizermeister. Das tönt alles so einfach und planbar, war es das auch? Oder gab es damals schon gewisse Hindernisse oder Hürden?

Ach, was heisst schon planbar …? Während meiner Jugendzeit gab es für mich kaum etwas anderes als Sport: Ich war im Fussballclub und trainierte dort 3- bis 4-mal die Woche, da ich auch noch Spezialtraining als Torwart hatte. Zeitgleich war ich im Volleyballclub und im Winter kam dann eben noch das Curling hinzu.

Curling war für mich zu Beginn eine Art Ausgleich, aber bald verliebte ich mich in diesen Sport – und liebe ihn bis heute! Jede freie Minute war ich in der Curlinghalle anzutreffen und spielte Stein um Stein.

Da wir damals nicht genügend Junioren waren, habe ich 3 Schulkollegen zum Mitmachen animiert und so wurden wir als 16-jährige in Lausanne überraschend zum 1. Mal Junioren-Schweizermeister.

Mit diesem Juniorenteam kamen weitere Titel hinzu, ihr habt unzählige Turniere gewonnen. Dann kam der Übertritt zur Elite und Du konntest die Siegesserie fast nahtlos fortsetzen. Was war hier Dein Erfolgsrezept?

Ja, wir hatten mit dem Juniorenteam beispielsweise auch die legendäre Bund-Trophy in Bern gewonnen. Danach wollte ich noch mehr Zeit als meine Kollegen vom Juniorenteam ins Curling investieren.

Da es im Curling nie ein vom Verband organisiertes Nationalteam gab, habe ich selbst versucht, die passsenden Spieler für unser Team zu gewinnen.

Ich glaube, dass ich einer der ersten Curler überhaupt war, der gleich nach seiner Juniorenzeit ein Team mit Spielern von auswärtigen Klubs und aus verschiedenen Orten zusammenstellte. Dank den Erfolgen war es auch einfacher, die gewünschten Spieler zu überzeugen.

Mit Björn Schröder hatten wir den perfekten Lead, mit dem Zürcher Stefan Hofer den damals wohl besten Wischer weltweit und mit Fredy Jean aus Biel einen 3er mit Weitsicht: Dank ihm haben wir damals angefangen, beim Sport auch auf die Ernährung zu schauen (auch wenn man mir das heute nicht mehr ansieht … 🙂). Der Blick titelte deshalb nach unserem Erfolg von 1992 auch «Die Spaghetti-Weltmeister».

 

Mit diesem «Erfolg» sprichst Du Euren WM-Titel von 1992 in Garmisch an. Du warst damals der jüngste Weltmeister-Skip der Curling-Geschichte – und das bist Du bis heute geblieben. Was glaubst Du, wird Dir dieser «Titel» jemals weggeschnappt?

Puh, diese Frage lässt sich nicht so leicht beantworten. Ich denke aber, dass das mit der fortdauernden Professionalisierung des Curlingsports immer realistischer wird. Zu uns hat man noch gesagt, dass man frühestens ab 28 Jahren ins perfekte Curlingalter komme, da man für den Erfolg einiges an Erfahrung sammeln müsse. Heutzutage spielen die Teams allgemein schon viel früher viel intensiver – und sind deshalb auch in jungen Jahren schon wesentlich besser und «reifer».

Viel wichtiger wäre es mir, dass endlich wieder ein Schweizer Herrenteam Weltmeister wird – ich hoffe schon lange, als letzter Weltmeister der Schweiz abgelöst zu werden. Ich bin überzeugt, dass das dieses Jahr geschehen wird: Die starken «Genfer» haben alle Chancen dazu. Und was gäbe es Schöneres, als bei der Heim-WM in Schaffhausen zu gewinnen? Darum von mir ein lautes: Hopp Schwiiz!

Deine kurze Analyse der Gegner: Wer schafft’s in die Halbfinals? Wer wird das Überraschungsteam sein? Und was wäre Dein Traumfinal?

Für mich gelten immer etwa die gleichen Nationen als «übliche Verdächtige»; wenn ich mich heute festlegen muss, dann lauten die Halbfinalisten: Schweiz, Schottland, Schweden und Kanada. Und wenn ich den Final wünschen könnte: Schweiz gegen Schweden!

Das Überraschungsteam könnte klar Italien sein. Was Claudia Pescia in den letzten Jahren aus den «Azzurri» gemacht hat, finde ich schlicht genial! Gespannt bin ich aber auch auf das Abschneiden der mir weniger bekannten Teams aus Japan und Südkorea.

32 Jahre lang stand kein Schweizer Team mehr zuoberst auf dem Podest, 21 Jahre sind vergangen, seit der letzten Schweizer Finalbeteiligung. Realisiert man erst später die wahre Grösse eines solchen Erfolgs?

Ich war und bin überzeugt, dass man an das entsprechende Wettkampfglück glauben muss und es dies auch braucht, um zu gewinnen – egal, in welcher Sportart. Dass du genau am Tag X dein bestes Curling abrufen kannst und dein Gegner vielleicht einmal einen Fehler macht, den man nicht erwartet – das ist für mich erzwungenes Wettkampfglück.

Noch heute sage ich jedem Sportler (auch meinem 12-jährigen Sohn Fynn, der Tennis und Curling spielt), dass die Freude am Sport das Wichtigste ist. Man muss sich bewusst sein, dass man als Sportler privilegiert ist, seine geliebte Sportart ausüben zu dürfen. Sobald man dazu gezwungen wird oder die Freude verloren geht, kann man nicht mehr erfolgreich sein.

Und ja, ich glaube, dass man erst Jahre nach dem Erfolg wirklich realisiert, was man damals erreicht hat. Es macht einen schon stolz, vor allem in einer Randsportart, bei der man kein Geld verdienen konnte. Den riesigen Aufwand, finanziell und zeitlich, und all die Entbehrungen, die ich mit meinen Teams auf mich genommen habe, möchte ich dennoch nicht missen – es war für mich einfach eine fantastische und unvergessliche Zeit mit vielen sportlichen Höhepunkten, aber auch mit harten Niederlagen, aus denen ich fürs Leben viel lernen und mitnehmen konnte. Ich bin schlicht unendlich dankbar, dass ich diesen wunderbaren Sport so lange auf höchstem Niveau betreiben durfte.

Du bist weltweit einer der ganz wenigen Curler mit zwei Olympia-Medaillen, Du hast einen kompletten Satz an WM-Medaillen, daneben einen ganzen Strauss an EM- und Junioren-WM-Medaillen und sechs SM-Titel. Welches war der schönste oder unvergesslichste Moment in Deiner langen Karriere?

Da gäbe es von zahlreichen «bleibenden Momenten» zu erzählen, ich versuche ein paar herauszustreichen:

  • Der eindrücklichste Moment: Die 1. Herren WM 1991 in Winnipeg, als wir im jeweils randvollen Hockeystadion vor rund 14’000 Zuschauern spielen durften. Ich habe immer gesagt, das war die Krönung und wohl gleichzusetzen mit einem Fussballspiel im vollen Wembley-Stadion.
  • Der härteste Moment: Die Halbfinalniederlage an den Olympischen Spielen 2002 in Salt Lake City, als wir nach einer klaren Führung im Zusatzend mit dem letztem Stein verloren hatten.
  • Der überraschendste Moment: Gewinn der Weltmeisterschaft 1992 bei der 2. Teilnahme an einer Elite-WM.
  • Der verrückteste Moment: Die Eröffnungszeremonie in Salt Lake City, so kurz nach «9/11». Ich habe vorher und nachher nie mehr einen so grossen Aufwand für die Sicherheit gesehen.
  • Der erfolgreichste Moment: Der Gewinn der zweiten olympischen Bronzemedaille in Vancouver 2010. Danach fiel es mir nicht schwer, auf dem Höhepunkt «adieu» zu sagen!
  • Der allerschönste Moment: Als ich vor etwa 3 Jahren meinem Sohn die Medaillensammlung präsentieren durfte und er verstand, was dahintersteckt.
  • Und was fürs ganze Leben bleibt: Die unzähligen und unglaublich wertvollen Freundschaften weltweit, die innerhalb der Curlingfamilie gepflegt werden!

 

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