Reto Seiler, Redaktion «Hit & Roll» 


Seit Generationen ist es ein fester Bestandteil der Curling-Ausbildung in der Schweiz und darüber hinaus: das Schema-X. Ob in Juniorenlagern oder in der J+S-Leiter-Ausbildung, dieses taktische Hilfsmittel gehört seit Jahrzehnten zum Standardrepertoire.

Doch was steckt hinter dem bewährten Konzept? Wer hat es erfunden und entwickelt? Und wie wurde es zu einem international anerkannten Standardwerkzeug? Die Entstehungsgeschichte des Schema-X ist ebenso bemerkenswert wie seine anhaltende Gültigkeit.

Was heute selbstverständlich scheint, war einst eine Pionierleistung: Das Schema-X fasst grundlegende taktische Überlegungen im Curling in einem klaren Entscheidungsraster zusammen. Es hilft Spielerinnen und Spielern, die taktische Situation jederzeit systematisch zu beurteilen und daraus stets die passende Strategie zu wählen. Viele Curlerinnen und Curler wenden dieses Prinzip intuitiv an, oft ohne zu wissen, dass sie dabei einem konkreten Schema folgen – dem Schema-X.

Die Geburtsstunde eines Klassikers

Im Sommer 1992 stand der damals 26-jährige Jus-Student und erfolgreiche Skip des Teams Basel Ysfäger als Leiter des Juniorenlagers in Champéry vor einer Herausforderung. Für die Theorielektionen gab es neben gut ausgestatteten Räumen auch einen ungeliebten Raum mit zwölf Computern – kühl, ungemütlich und bei vielen schlicht unbeliebt. Die Leiter schoben ihn einander zu wie eine Strafeinheit. Werthemann, selbst computerbegeistert, sah darin eine Chance. Er versprach seinen Mitleitenden, bis zum nächsten Jahr ein Computerprogramm zu entwickeln, das Curling-Theorie interaktiv und spannend vermitteln sollte. 

Pionierarbeit am Bildschirm: Werthemann entwickelt das erste digitale Lernprogramm für die Curlingausbildung.

Pionierarbeit am Bildschirm: Werthemann entwickelt das erste digitale Lernprogramm für die Curlingausbildung.

Werthemann hielt Wort. Innerhalb eines Jahres und nach über 400 Arbeitsstunden präsentierte er im Sommer 1993 sein revolutionäres Taktik-Lernprogramm für Windows. 

Sein Ziel war es, die komplexe Taktik des Curlings zu schematisieren und die taktischen Grundlagen verständlich und interaktiv zu vermitteln. Spielerinnen und Spieler sollten ein Grundmuster in die Hand bekommen, das sich bei möglichst allen Spielsituationen anwenden lässt.

Das Computer-Programm war in drei Teile gegliedert – Allgemeines Curling-Wissen (etwa zur einheitlichen internationalen Terminologie), Taktiklektionen und praktische Aufgaben. Herzstück des Konzepts war ein taktisches Gerüst, das in nahezu jeder Spielsituation Orientierung bot. Und genau hier tauchte es zum ersten Mal auf – das Schema-X.

Dieses Schema konnte während der Übungen jederzeit eingeblendet werden. Es half den Nutzerinnen und Nutzern, aus einer konkreten Spielsituation heraus zur richtigen Entscheidung zu gelangen. Und so machte die Mischung aus Didaktik, klarer Struktur und Interaktivität den Computerraum zum Hotspot des Lagers – ein Novum in der damaligen Curling-Ausbildung.

Taktiktraining am Bildschirm in Schwarzweiss: Das Lernprogramm von 1993 simulierte konkrete Spielsituationen, zu denen der passende nächste Stein gewählt werden musste. Das Schema-X konnte bei Bedarf eingeblendet werden – als Entscheidungshilfe auf Knopfdruck.

Taktiktraining am Bildschirm in Schwarzweiss: Das Lernprogramm von 1993 simulierte konkrete Spielsituationen, zu denen der passende nächste Stein gewählt werden musste. Das Schema-X konnte bei Bedarf eingeblendet werden – als Entscheidungshilfe auf Knopfdruck.

Schema-X: Ein Konzept macht Karriere

Werthemanns Taktikprogramm, ursprünglich nur für die Kurse in Champéry gedacht, sorgte rasch für Aufmerksamkeit – erst national, dann auch international. Das Interesse war so gross, dass Werthemann begann, das Programm für 40 Franken pro Diskette zu verkaufen.

Besonders eindrücklich war die positive Resonanz aus der Weltspitze: Markus Eggler, Curling-Weltmeister von 1992, gehörte zu den ersten Anwendern und lobte das Programm in der Verbandszeitschrift Curling (dem früheren Hit & Roll). Die Verkäufe zogen daraufhin deutlich an, und bald wurde auch international darüber gesprochen: Der norwegische Ausnahmekönner Eigil Ramsfjell und die kanadische Weltmeisterin Linda Moore zeigten sich begeistert. Moore schlug sogar vor, das Programm ins Englische zu übersetzen und in Kanada zu vertreiben, wo es ein enormes Potenzial gehabt hätte. Dazu kam es zwar nicht – doch das Lob aus der Weltelite unterstreicht die Bedeutung und Innovationskraft des Konzepts.

Als „Viren“ noch für Aufbruch standen: So würdigte die Basler Zeitung Bernhard Werthemanns frühe Symbiose aus Curling und Computer.

Als „Viren“ noch für Aufbruch standen: So würdigte die Basler Zeitung Bernhard Werthemanns frühe Symbiose aus Curling und Computer.

Das Schema-X – auch heute noch gültig?

Als Bernhard Werthemann das Schema-X in den frühen 1990er-Jahren entwickelte, war Curling taktisch noch eine andere Welt: Die Free-Guard-Zone war neu, die 5-Rock-Rule und die No-Tick-Zone lagen in weiter Ferne. Und doch: Das Schema hat die Zeit überdauert.

Natürlich: An der Weltspitze wird heute situativer gespielt, und Topteams gehen oft neue Wege – teils gezwungen durch Reglementsänderungen, teils bewusst entgegen klassischen Mustern: Wer führt, greift mitunter trotzdem an. Wer zurückliegt, geht nicht mehr blind ins Risiko. Doch gerade diese bewussten Abweichungen bestätigen, wie wertvoll ein klares Grundschema geblieben ist.

Für die grosse Mehrheit der Curlerinnen und Curler – von Junioren bis zu ambitionierten Amateuren – bleibt das Schema-X der bewährte Leitfaden: übersichtlich, logisch und erstaunlich zeitlos. Es ist deshalb nach wie vor ein zentrales Element in der Ausbildung. Das Schema-X bringt Struktur ins Spiel und Sicherheit in der Entscheidung – damals wie heute.

Schema-X (nach Bernhard Werthemann)

Schema-X (nach Bernhard Werthemann)

 

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